Sozialversicherungspflicht/-freiheit eines Vertretungsarztes im MVZ

24.08.2020

  1. Ein ausschließlich zeitlich befristet als Vertretungsarzt im MVZ tätiger Arzt, der einbestellte Patienten behandelt (Echokardiographien durchführt), und in die vom MVZ bereitgestellte Infrastruktur organisatorisch, personell und sachlich vollständig eingebunden ist, sowie nach Stunden bezahlt wird, unterliegt als Beschäftigter der Versicherungspflicht.
  2. Aus dem Vertragsarztrecht, insbesondere dem vertragsärztlichen Zulassungsrecht, folgt nicht, dass der vertretungsweise tätige Arzt im MVZ zwingend selbstständig tätig sein muss.
  3. § 23c Abs. 2 SGB IV begründet keinen Anspruch auf Gleichbehandlung für alle vertretungsweise tätigen Ärztinnen und Ärzte.

Der Vertretungsarzt unterlag, trotz der vertraglichen Vereinbarung, wonach er weder gegenüber dem Leiter des MVZ, noch anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weisungsgebunden sein sollte, einem Weisungsrecht. Denn er hat bei dem jeweils verabredeten Dienst die Patienten behandelt, die das MVZ zu diesen Terminen einbestellt hatte. Zumindest diese wurden ihm (einseitig) von dem MVZ zugewiesen. Die Vereinbarung berücksichtigt, dass die ärztliche Tätigkeit an sich, vor allem im Krankenhaus, Besonderheiten aufweist. Ärzte handeln bei medizinischen Heilbehandlungen und Therapien grundsätzlich frei und eigenverantwortlich. In diesem Sinne gewährleistete § 2 Abs. 1 der Vereinbarung, dass der Vertretungsarzt fachlich weisungsfrei seine ärztliche Tätigkeit ausüben konnte. Diese fachliche Weisungsfreiheit kann von vorn-herein nicht ohne weiteres als ausschlaggebendes Abgrenzungsmerkmal herangezogen werden. Zumindest kann aus ihr nicht ohne weiteres auf eine selbstständige Tätigkeit geschlossen werden. Darüber hinaus war er auch fachlich nicht gänzlich frei, sondern aus § 1 Abs. 2 der Vereinbarung verpflichtet, die allgemeinen Behandlungsleitlinien des MVZ zu befolgen.

Hinzu kommt, dass der Vertretungsarzt mit seiner ärztlichen Tätigkeit jedenfalls in ein fremdes, nicht sein eigenes, Unternehmen eingegliedert war. Weisungsabhängigkeit und Eingliederung stehen weder in einem Rangverhältnis zueinander, noch müssen sie kumulativ vorliegen. Eine Eingliederung geht nicht zwingend mit einem umfassenden Weisungsrecht einher (für die ärztliche Tätigkeit im Krankenhaus ausgeführt von: BSG, Urteil vom 04. Juni 2019 – B 12 R 2/18 R Rn. 24). Gerade bei Hochqualifizierten oder Spezialisten kann das Weisungsrecht auf das Stärkste eingeschränkt sein, die Dienstleistung fremdbestimmt sein, wenn sie ihr Gepräge von der Ordnung des Betriebs erhält, in dem der Dienst verrichtet wird. Das Weisungsrecht ist dann zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert (BSG, a.a.O., Rn. 24). Es ist daher unschädlich, wenn die umfassende Weisungsabhängigkeit nicht gegeben ist, sofern die Tätigkeit vollständig fremdbestimmt innerhalb eines vorgegebenen organisatorischen Betriebsablaufs erfolgt.

Die übrigen Anhaltspunkte sprechen ebenfalls nicht für eine selbstständige Tätigkeit des Vertretungsarztes, so dass sie die Weisungsabhängigkeit und Eingliederung überwiegen könnten.

Nicht von Bedeutung ist, dass der Vertretungsarzt nur zeitlich begrenzte Arbeitseinsätze absolvierte; auf eine verstetigte Rechtsbeziehung kommt es für die Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung oder Selbständigkeit nicht an.

Die Honorarhöhe lag zwar mehr als das Dreifache über dem Gehalt, welches der Vertretungsarzt zuvor im Angestelltenverhältnis erzielte. Diese ist jedoch nur eine von vielen Kriterien, die in die Gesamtwürdigung einzustellen sind. Bei Überwiegen der übrigen Indizien für die abhängige Beschäftigung führt es allein nicht zur Qualifizierung als selbstständige Tätigkeit.

LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.02.2020, L 9 BA 92/18

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