Bundessozialgericht stellt erhöhte Anforderungen an "Verzicht gegen Anstellung"-Modell
29.06.2016
Ein aktuelles Urteil des Bundessozialgerichts vom 04. Mai 2016 sorgt für viel Wirbel und Verstimmung in der Ärzteschaft. Vorab sei hier angemerkt, dass noch gar kein vollumfängliches Urteil bisher vorliegt, sondern lediglich eine Vorab-Pressemitteilung. Somit können wir einleitend festhalten, es wird viel spekuliert, allerdings völlig verfrüht und oftmals auf reinen Vermutungen basierend. Dennoch wollen wir Ihnen einen kurzen Überblick über das anstehende Urteil und mögliche Auswirkungen geben und es in den Kontext GKV-Versorgungsstärkungsgesetz einordnen:
Vor dem Hintergrund des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes, wonach bei Arztgruppen mit einem über 140 % im Planungsbereich liegenden Versorgungsgrad eine Ausschreibung des Praxissitzes nicht mehr erfolgen und stattdessen ein Ankauf der Praxis durch die KV erfolgen sollte, war in den letzten Monaten verstärkt das Modell „Verzicht gegen Anstellung“ in den Fokus von potentiellen Praxisabgebern gerückt.
In diesem Verfahren hatte der Zulassungsausschuss keinen Ermessensspielraum, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen einer Anstellung vorlagen, das Ausschreibungsverfahren entfiel und überdies auch der gelegentlich etwas lästige Ansturm von Bewerbern. Nach einer Tätigkeit des Praxisabgebers von zwei Quartalen konnte das Anstellungsverhältnis nachbesetzt werden, in einem späteren Schritt konnte ein neuer Angestellter das Anstellungsverhältnis gar wieder in einen Vertragsarztsitz umwandeln.
Dieser Weg der Praxisabgabe wurde nunmehr vom Bundessozialgericht in Frage gestellt. Wie aus dem Terminbericht zu dem Urteil vom 04. Mai 2016 verlautet, wird „für die Zukunft“ klargestellt, dass bei einem Vertragsarzt, der auf seine Zulassung zu Gunsten einer Anstellung verzichtet, „sich die zu fordernde Absicht im MVZ tätig zu werden, grundsätzlich auf eine Tätigkeitsdauer von drei Jahren beziehen muss, wobei die schrittweise Reduzierung des Tätigkeitsumfangs um eine Viertelstelle in Abständen von einem Jahr unschädlich ist.“
KV-hausintern wird auf dieses Urteil hingewiesen, so dass diese Möglichkeit der Praxisabgabe momentan nur sehr zurückhaltend angegangen werden sollte (sofern Sie als Praxisabgeber nicht ohnehin drei Jahre angestellt sein möchten).
Was könnte also passieren? Ein Vertragsarzt (Praxisabgeber) verzichtet zugunsten einer Anstellung bei einem Kollegen. Dieser „übernimmt“ dessen Zulassung (und auch dessen Budget). Nach einem halben Jahr will der Praxisabgeber – wie zuvor besprochen – aus dem Anstellungsverhältnis ausscheiden und der anstellende Vertragsarzt einen neuen Kollegen auf diesem Anstellungsverhältnis beschäftigen. Der Zulassungsausschuss, der das neue Anstellungsverhältnis genehmigen muss, entscheidet nunmehr, dass die „Absicht“, sich anstellen zu lassen, nicht ernsthaft genug war (weil nur für zwei Quartale), verweigert die Nachbesetzung und streicht den Angestelltensitz entschädigungslos. Ein Horrorszenario!
Der bisher vorliegende Auszug des Urteils (ein sogenannter Terminsbericht) lässt allerdings auch noch viele Fragen offen.
Es ist zwar richtig, dass der Verzicht gegen Anstellung eine Umgehungsmöglichkeit der strengen Regeln im Ausschreibungsverfahren bot, jedoch könnte man gegen das Bundessozialgericht auch argumentieren, dass der Gesetzgeber auf eine ausdrückliche Aufnahme der dreijährigen Tätigkeit bei den Regelungen zum Verzicht gegen Anstellung verzichtet hatte.
Es scheint weiterhin nicht ganz logisch, warum eine zunächst bezeugte Absicht einer längerfristigen Tätigkeit nicht beispielsweise durch persönliche Umstände oder Krankheit (bis hin zur Berufsunfähigkeit) entfallen kann.
Das Bundessozialgericht führt offenbar zur Begründung ausdrücklich Fälle an, in denen „ein Arzt zwar zunächst erklärt, auf seine Zulassung zu verzichten, um in einem MVZ tätig zu werden, die Tätigkeit dort tatsächlich aber nicht antritt, um dem MVZ sogleich die Nachbesetzung durch einen selbst gewählten Angestellten zu ermöglichen“. Um solche Extremkonstellationen geht es doch aber im Regelfall gar nicht.
Wie soll sich ein Praxisinhaber verhalten, wenn das Anstellungsverhältnis mit dem abgebenden Arzt zerrüttet ist? Bei einer Kündigung verliert er nicht nur den Angestellten, sondern (offenbar entschädigungslos) auch die Nutzungsmöglichkeit an der Zulassung.
Der Praxisabgeber wiederum wird höchst ungern drei Jahre auf einen Kaufpreis warten wollen, wenn er seine Praxis und die Zulassung doch schon ganz am Anfang der drei Jahre verloren hat.
Arbeitsrechtlich dürfte es ohnehin höchst bedenklich sein, einen Angestellten drei Jahre lang festzuhalten.
Nach vorläufigen Äußerungen der KV Berlin dürften zumindest Anstellungsverhältnisse, die vor dem Urteil (Stichtag 04.05.2016) bereits angetreten waren, Bestandsschutz genießen, also nicht unter die neue Rechtsprechung fallen. Ob dies auch für Anstellungsverhältnisse gelten soll, die bereits vor dem Stichtag beantragt oder gar schon genehmigt waren, aber noch nicht angetreten wurden, wollte man uns noch nicht verbindlich mitteilen.
Grundsätzlich wird auch bei der KV Berlin die missliche Situation für Anstellenden und Anzustellenden gesehen und man wird bemüht sein, im Zweifelsfall einen Ausweg zu finden, wenn das Anstellungsverhältnis aus nachvollziehbaren Gründen enden „muss“. In jedem Fall ist zu vermeiden, dass Anstellungsverhältnisse in dieser Konstellation auf einen kürzeren Zeitraum befristet werden und dass der Wunsch, den angestellten Arzt schnell „auszutauschen“, einem förmlich ins Auge springt.
Wie auch bisher empfohlen, zeigt sich nunmehr, dass eine langfristige Praxisabgabe geplant und umgesetzt werden muss. Als Zeitraum sollten drei bis fünf Jahre Vorlauf eingeplant werden. Nutzen Sie die Möglichkeit eines Gesprächs mit uns und auch mit den Beratungsstellen der Kassenärztlichen Vereinigung, bevor Sie entsprechende Verzichtsanträge abgeben.
Wir werden Sie informieren, sobald uns der komplette Urteilstext vorliegt oder wir etwas über die Umsetzung dieses Urteils in den Kassenärztlichen Vereinigungen Berlin und Brandenburg erfahren.
Den Terminsbericht zum BSG-Urteil finden Sie im Internet (unter Punkt 4):